KT-24.09.12, Antr.1034 (F. Battenberg)
Antrag aller Fraktionen im Kreistag
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Fast täglich erreichen uns aus den Medien neue Nachrichten über die jahrelang unterschätzten Gefahren des Rechtsextremismus für unsere Gesellschaft und für die Demokratie. Wenn vergangenen Donnerstag in der Berliner taz unter dem Stichwort „Terror von Rechts“ berichtet wurde, dass über zehn Jahre hinweg ein Nazi aus dem NSU-Umfeld in Diensten des Bundesamtes für Verfassungsschutz stand, und dass dieser wie auch andere V-Leute mit ihren Klarnamen nicht in die Rechtsextremismus aufgenommen werden, so gibt dies zu denken. Bis das ganze Ausmaß der Gewalt von Rechts und der Verbreitung des rechtsextremistischen fremdenfeindlichen und diskriminierenden Gedankenguts identifiziert und gesichtet ist, wird sicher noch viel Zeit vergehen. Vorbildliche Aufklärungsarbeit leistet da die Amadeu-Antonio-Stiftung, die mit ihren regelmäßigen Newslettern ein breites Publikum erreicht und für Projekte zur Stärkung der demokratischen Kultur und den Mut zu bürgerschaftlichem Engagement wirbt.
Sieht man sich die von dem bekannten Bielefelder Politologen Wilhelm Heitmeyer regelmäßig erhobenen Zahlen an, so stellt man eine wachsende Gewaltbereitschaft in der rechtsradikalen Szene fest. Doch auch, wenn diese sich in Hessen noch unter zwei Prozent der Befragten bewegt, so ist das „Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, wie Heitmeyer den Kernbereich des Rechtsextremismus bezeichnet, längst auch in scheinbar unverdächtigen gesellschaftlichen Bereichen offenkundig. Flotte Stammtischparolen etwa gegen Türken und Muslime überhaupt, die in vielen Milieus schnelle Zustimmung erfahren, bieten ein Einfallstor für weit gefährlichere Verhaltensweisen und demokratiefeindliche Einstellungen. Mit dieser Grundposition verbunden ist der schnelle Ruf nach „Law and Order“, statt sich auf demokratisch legitimierte Aushandlungsprozesse zu verlassen. Gesellschaftliche Gruppen, die in das eigene Ordnungsbild nicht mehr hineinpassen, werden dann schnell verdrängt. Hier hilft im Grunde nur breite Bildungs- und Aufklärungsarbeit
Hier in unserem Kreistag können wir natürlich nichts an den zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf Bundes- und Landesebene bestehenden Strukturen ändern. Wohl aber sind wir verpflichtet, das Unsere dazu zu tun, zu verhindern, dass sich im Landkreis braunes, rechtsextremistisches Gedankengut einnistet, und zwar weder in der Bevölkerung noch in der Verwaltung. Die in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise unseres Landes wieder neu aufkeimenden Parolen der Fremdenfeindlichkeit, die unterschwellig von einigen unserer Bundes- und Landespolitiker genährt werden, dürfen keine Chance der Realisierung bekommen. Die Grenzen zwischen zulässiger freier Meinungsäußerung und verleumderischen Hassparolen müssen immer wieder neu reflektiert und austariert werden. Manche unbedachten politischen Äußerungen, die auf den ersten Blick harmlos klingen, entpuppen sich im Nachhinein nicht selten als verhängnisvolle Entgleisungen, wenn sie z.B. ganze Bevölkerungsgruppen unseres Landes unter Generalverdacht stellen und damit den Hass gegen alles Fremde schüren. Auch für unseren Landkreis gilt: Wer – vielleicht sogar in bester Absicht – als Kommunalpolitiker rechtspolitische Ideen verbreitet, nur um aus konservativeren Kreisen Wählerstimmen an sich zu binden, spielt mit dem Feuer und gefährdet die demokratische Kultur.
Der überfraktionelle Antrag, den für die Fraktionen des Kreistages ich zu begründen die Ehre habe, ist meines Erachtens einmalig in der parlamentarischen Geschichte des Kreistages. Gewiss ist dies nicht der erste gemeinsame Antrag im Kreistag. Meist waren es aber nur Resolutionen gegen politische oder gesetzgeberische Schritte von außen, durch die Landkreis oder Kommunen in ihrer Handlungsfreiheit hätten eingeschränkt werden können, die zu einer Solidarisierung aller Abgeordneten führten. Der vorliegende Antrag geht weit darüber hinaus, indem er ganz konkrete Handlungsoptionen benennt und Schwerpunkte für den Kampf gegen Rechts deutlich macht. Ich denke, es ist nicht übertrieben, wenn ich für den Fall, dass dieser Antrag verabschiedet werden sollte, von einer Sternstunde des Darmstadt-Dieburger Kreistags rede. Wir haben damit nicht nur Einigkeit demonstriert, sondern auch gezeigt, dass wir gemeinsam in der Lage sind, den Landkreis in der gegenwärtigen Terrorismus-Debatte zu positionieren und ein Zeichen zu setzen. Und ich bin froh darüber, dass niemand ernsthaft die Frage gestellt hat, ob man sich angesichts der schwierigen Haushaltssituation hier im Landkreis im Kampf gegen Rechts überhaupt engagieren sollte.
Ich möchte keineswegs unterschlagen, dass mit dem Antrag Nr. 592 der Fraktion der Linken ein erster Anstoß gegeben wurde. Dass sich dieser in einer früheren Sitzung des Kreistags eingebrachte Antrag nun erledigt hat, soll nicht heißen, dass er damit inhaltlich verworfen wurde, im Gegenteil: Die dort geäußerten Gedanken sind in den gemeinsamen Antrag aufgenommen und weiter ergänzt worden.
Ich möchte auch nicht verhehlen, dass die Mitglieder des vom Kreistagspräsidium eingesetzten Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus nicht immer einer Meinung waren. Es waren dies aber stets Auseinandersetzungen über den richtigen Weg zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, nicht über das von allen unterstützte Ziel. Und am Ende sind wir zu Ergebnissen gekommen, die keineswegs nur den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten. Umstritten blieb allenfalls die Frage, inwieweit auch der Linksextremismus thematisiert werden sollte; doch darüber zu diskutieren, hätte den Auftrag, den die Arbeitsgruppe vom Kreistag erhalten hatte, weit überschritten.
Ich bin sehr froh darüber, dass alle Streitfragen solidarisch und einvernehmlich geklärt wurden. An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei allen Mitgliedern der Arbeitsgruppe, bei der Kreistagsvorsitzenden Frau Wucherpfennig wie auch bei Frau Mally von der Kreistagsverwaltung herzlich bedanken, die sich ohne Ausnahme vorbildlich im Interesse der Sache engagiert hatten.
Schon in meinem in der letzten Kreistagssitzung vor der Sommerpause abgegeben Bericht hatte ich über die Grundzüge des geplanten gemeinsamen Antrags berichtet. Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, möchte ich einige Gesichtspunkte, die für den vorliegenden Antrag eine Rolle spielte, nochmals auflisten.
Im Vordergrund des Antrags steht die Absicht einer inneren Stärkung der demokratischen Kultur in unserem Landkreis. Besonders wichtig ist die Erweiterung und Intensivierung von einschlägigen Bildungsangeboten, in der Jugendarbeit, in den Schulen, in der Volkshochschule und überhaupt in allen Bereichen, auf die der Kreis Einfluss nehmen kann. Mit Vortragsveranstaltungen, Ausstellungen, dem Besuch von Gedenkstätten und Seminarangeboten sollte das Bewusstsein der Kreisbevölkerung dafür geweckt und gestärkt werden, dass Rechtsextremismus eine innere Bedrohung der Demokratie darstellt. Es muss die Bereitschaft dafür geweckt werden, das von Rechtsextremen ausgehende Bedrohungspotenzial durch öffentliches und auch bürgerschaftliches Engagement im Sinne einer Stärkung der Demokratie aktiv zu bekämpfen.
Nach unseren Recherchen hat sich aber auch gezeigt, dass es an einer Koordinierung in den jeweils zuständigen Ämtern und Dezernaten vielfach mangelt. Bisweilen sind in den Gemeindeverwaltungen sogar mehrere Stellen nebeneinander zuständig, für Präventionsmaßnahmen, Programmen in der Jugendarbeit andere Abteilungen als für die Reaktion auf einzelne rechtsradikale Vorkommnisse. Hier könnte man sich – wie auch in der Kreisverwaltung selbst – eine stärkere Zentralisierung vorstellen, gerade um bei Bedarf schnell eingreifen und reagieren zu können.
Ziel des Antrags sind aber nicht nur infrastrukturelle, organisatorische und technische Verbesserungen, auf die der Kreistag und die Kreistagsverwaltung Einfluss nehmen können. Im Fokus der Überlegungen sollte ein übergreifendes „Netzwerk des Landkreises Darmstadt-Dieburg zur Stärkung der Demokratie und zur Abwehr des Rechtsradikalimus“ stehen, wie es im Antrag vorgeschlagen wird. Ein solches Netzwerk oder Bündnis sollte aber vor allem von bürgerschaftlichem Engagement getragen sein, von einschlägig erfahrenen Gruppen wie Vereinen, Gewerkschaften und Kirchen. Es sollte überdies eingebettet sein in ähnliche Initiativen benachbarter Landkreise und sich eng mit der Stadt Darmstadt absprechen.
Oberstes Ziel unserer Aktivitäten im Landkreis sollte es sein, Neonazi-Gruppen und rechtsradikalem Gedankengut keine Chance zu geben. Dies muss auch als ein Signal an die Bürger und Bürgerinnen unserer Region verstanden werden. Der Kampf gegen den Rechtsradikalismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen die Diskriminierung von Menschen mit Magrationshintergrund, damit verbunden auch gegen den Antisemitismus ist zu wichtig, als dass er Gegenstand einer parteipolitischen Auseinandersetzung werden darf. Hier sollten wir alle, ohne Ausnahme, an einem Strang ziehen, in Interesse – ich sage es noch einmal – der Stärkung der Demokratie.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit