Maßnahmekatalog zu den Handlungsempfehlungen „Wege aus der Armut“

Sehr geehrte Frau Kreistagsvorsitzende,
werte Kolleginnen und Kollegen des Hauses,

„Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn sie allen die gleiche Freiheit gewährt, mit gesellschaftlicher Unterstützung und unter eigener Anstrengung selbstbestimmt etwas im Leben erreichen zu können“ dieses ist ein Bild von Gerechtigkeit. Die Realität sieht anders aus. Die soziale Schere in unserer Gesellschaft geht auseinander. In kaum einem anderen Industrieland ist die Durchlässigkeit der Gesellschaft so gering ausgeprägt wie hierzulande; OECD und viele andere Studien belegen dies jährlich in unterschiedlichen Facetten und schlimmer noch: Soziale Ausgrenzung, Bildungs- und materielle Armut werden vielfach schlichtweg „vererbt“.

In der sozialpolitischen Analyse der Handlungsoptionen zu einem lokalen Sozialstaat von Prof. Hanesch, ist zu lesen, dass wachsende Armutsrisiken zwar einerseits aus dem sozialen-ökonomischen Wandel, sprich aus Ungleichheit und sozialer Unsicherheit in Folge eines Standortwettbewerbs in einer globalisierten Welt und damit einhergehender Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensbedigungen hervorgehen, aber andererseits resultieren sie auch aus einem Umbau des Sozialstaates auf nationaler und Ebene der Länder, indem die Ausgleichsfunktion des Steuersystems und die Schutzfunktion der nationalen Sicherungssysteme in den letzten Jahren immer weiter zurückgenommen wurden.

Mit schwerwiegenden Folgen für die kommunale Ebene: wie z.B. zu belegen mit der aktuell im GGSA eingebrachten Vorlage 750 „Zielvereinbarungen 2012 des LandesSozialMinisterium mit der Kreisagentur für Beschäftigung“, die „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ waren 2010 noch mit einem Volumen von noch ca. 11,6 Mio dotiert und werden nunmehr auf rund 7 Mio für das Jahr 2012 (somit eine 40% Kürzung) runtergeschraubt.

Gleichzeitig wachsen parallel die Anforderungen und Problemlagen aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Wir alle beobachten, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden langfristig einseitig zu Lasten der kommunalen Verantwortungsebene geht: Alle Aufgaben- und Umsetzungsverantwortungen werden ohne entsprechende Erweiterung der Ressourcenbasis auf die kommunalen Ebenen abgewälzt. Die Länder ziehen sich konsequent zurück durch Konsolidierung (Stichwort: Schuldenbremse) und Kommunalisierung der sozialpolitischen Programme.

Beispiele für unseren Landkreis sind hier z.B. der Abbau der Finanzierung von dreijährigen Ausbildungsgängen für problembehaftete Jugendliche mit Migrationshintergrund im Jahr 2011 oder die Reduktion der Zuschüsse an die Träger zur Schwangerenkonfliktberatung, Frauenhäuser oder Jugendberufshilfe. In den Punkten 5 und 6 unseres Antrags artikulieren wir unsere Kritik für zentrale Felder der Armutsbekämpfung.

Uns, als eine der kommunalen Gebietskörperschaften, bleibt im Rahmen des verfassungsrechtlich verbrieften Rechts auf Selbstverwaltung eine Allzuständigkeit für die Gestaltung der örtlichen Lebensbedingungen und somit der Verantwortung und Bekämpfung von Armut. Es droht aber die Gefahr einer strukturellen Überforderung. Der kommunalpolitische Handlungsdruck für den lokalen Sozialstaat und seine politisch Verantwortlichen wächst enorm.

Auf Grundlage dieser Ausgangsbedingungen sammelte sich unter Grüner Initiative die rot-grüne Koalition in der vorhergehenden Legislatur um eine fachpolitische Antwort zu finden, indem sie in einem ersten Schritt die Erstellung eines „Berichts zur sozialen Lage“ beauftragte. Daraus hervorgehend sollten in einem zweiten Schritt geeignete Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und zur Herstellung von Teilhabe- und Chancengerechtigkeit entwickelt werden, um das Risiko, dass Armut eben vererbt wird zu minimieren. Ergebnis ist ein uns im Mai vorgestelltes Bausteinkonzept, ein Handlungsprogramm gegen Armut, welches unter Zuhilfenahme eines einmaligen und zugleich erfolgreichen partizipativen Ansatzes der gesamten Fachöffentlichkeit des Landkreises Darmstadt-Dieburg erstellt wurde und der Fragestellung zur Bekämpfung von Armut eine komplexe, fachliche und sehr differenzierte aber erste, konzeptionell fundierte und sehr praktische Antwort gegeben hat.

Jetzt ist die Politik wieder am Ball. Dank dieser und auf Basis dieser fachlich unbestrittenen Ergebnisse hat die rot-grüne Koalition einen Antrag formuliert, um den Prozeß mit dem nötigen Druck weiter fortzuführen und in die Phase weiterer praktischer Umsetzung münden zu lassen: Wir beauftragen den Kreisausschuss einen Maßnahmenkatalog zu erstellen. Wir befinden uns in der Erstellung sozialpolitischer Entwicklungsleitlinien zur Bekämpfung von Armut.

Dem Maßnahmekatalog bzw. den Entwicklungsleitlinien haben wir hierbei Handlungsmaximen und konzeptionelle Grundsätze voran gestellt, die aus dem Beteiligungsprozeß der Armuts-und Regional Konferenzen gewonnen wurden und in der weiter fortlaufenden Konzeptionierung und Umsetzung eines lokalen Sozialstaates im Landkreis Darmstadt-Dieburg Bestand haben werden.

Mit der Handlungsmaxime „Prävention so früh wie möglich“ richten wir die Angebote konsequent auf Kinder und Jugendliche aus, um der von mir eingangs formulierten Feststellung der Vererbung von Armut begegnen zu können. Dies ist der rot-grünen Koalition ein zentrales Anliegen. Der Landkreis beweist diese strategische Ausrichtung seiner Sozialpolitik bereits mit dem Konzept der frühen Hilfen, sprich die Einführung von Familienzentren- und Familienhebammen. Diese strategische Ausrichtung wollen wir weiter auszubauen mit der Entwicklung kreisweiter Präventions- und Interventionsketten, Schaffung von „Welcome Paketen“ für Eltern neugeborener Kinder, der allgemeinen Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden im Bereich der Integration in den ersten Arbeitsmarkt, aber auch durch ein bedarfsgerechtes und flexibles System der Kinderbetreuung; weiter sehen wir die bereits begonnene schrittweise Einführung von Ganztagsschulen als den zentralen systemischen Lösungsansatz zur Armutsbekämpfung bei Kinder und Jugendlichen.

Ohne mich in der Komplexität der Fragestellung der Handlungsempfehlungen und letztendlich unseres Antrages zu verlieren, muss es gelingen, dass verstärkt outputorientierte Netzwerke zu den Städte und Gemeinden unseres Landkreis für die einzelnen Handlungsfelder der Armutsbekämpfung geknüpft werden und neue, aber auch bereits bestehende Angebote, intelligent vor Ort in einem sozialräumlichen Ansatz zur Wirkung gebracht werden. Gerade in Zeiten von Haushaltskonsolidierung kommt es darauf an, dass wir die gut ausgebaute Infrastruktur und bestehenden Ressourcen des Landkreises noch effektiver und letztendlich effizienter bei den Betroffen vor Ort zum Einsatz bringen. Dezentralisierung, Regionalisierung, Netzwerkarbeit, Sozialraum- und Gemeinwesensorientierung drücken diesen konzeptionell zu beschreitenden Weg in unserem Antrag aus.

Der Punkt 7 unseres Antrags richtet sich hierbei explizit mit der Bitte an die kreisangehörigen Kommunen bei den vorgeschlagenen Initiativen aktiv mit einzusteigen.

Zu dem von der Die LINKE eingebrachten Änderungsantrag ist zu sagen, dass wir diesen in Gänze nicht teilen, denn in vielen ihrer Punkte folgen sie nicht der von uns angestrebten Antragssystematik zur Erstellung eines Maßgabekatalogs. Einzelne Punkte sind zudem fachlich interpretationsbedürftig. Insbesondere in Punkto Vernetzungsstrukturen auf der Ebene der kreisangehörigen Kommunen führen sie aus, dass darauf zu achten wäre (ich zitiere), „dass auf ehrenamtliche Arbeit verzichtet wird und die Eigenständigkeit dieser Aufgabe eine Anbindung an die Sozialämter (also die der Gemeinden) nicht sinnvoll ist.“ Dies ist ein Widerspruch von sozialraumorientierter Vernetzungsarbeit in sich und eine Absage an bürgerschaftlich-ehrenamtliches Engagement, welches wir nicht teilen können.

Abschließend möchte ich mich bei allen Beteiligten der Konferenzen aus unseren kreisangehörigen Städten und Gemeinden und den Fachverantwortlichen der Verwaltung für den exemplarischen Beteiligungsprozeß bedanken. Dieser Partizipationsprozeß wird u.a. im Jugendhilfeausschuss und seinen Fachausschüssen noch fortgeführt werden.

Im Sinne des partizipativen Grundsatzes laden wir weiterhin alle bisher persönlich, bürgerschaftlich und institutionell beteiligten Seiten dazu ein, unermüdlich und die langfristige Arbeit zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zur Herstellung einer Teilhabe- und Chancengerechtigkeit in unserem Landkreis fortzuführen.

Vielen Dank.

(Christian Grunwald, Fraktion Bü90/Die Grünen)