Eingangsrede des Ersten Kreisbeigeordneten Robert Ahrnt, Kreistagssitzung am 22.6.2020
Schönen Dank, Frau Vorsitzende Wucherpfennig, sehr geehrte Damen und Herren,
die Straßenbahn nach Groß-Zimmern ist das Thema und zu dieser Vorlage möchte ich ein bisschen was berichten. Es ist jetzt mittlerweile mehr als 15 Jahre her, als mein damaliger Chef Hans-Jürgen Braun ins Büro kam. Und da ich wusste, dass die Stadtverordnetenversammlung getagt hatte, fragte ich ihn, wie es gestern gelaufen ist mit der Abstimmung zur Odenwaldbahn. Und er schmunzelte und berichtete, dass alles glatt gelaufen sei. Was er danach sagte, habe ich in Erinnerung behalten. Es sagte sinngemäß: Wenn den Stadtverordneten klar gewesen wäre, welche großen Haushaltssummen wir über die gesamte Vertragslaufzeit in den ÖPNV geschoben haben – ich weiß nicht, ob wir eine Mehrheit bekommen hätten.
Damit möchte ich deutlich machen, dass wir als öffentliche Hand – als Landkreis
Darmstadt-Dieburg, Odenwaldkreis und Stadt Darmstadt – erhebliche Mittel in die
Hand genommen haben, um die Odenwaldbahn wieder flott zu kriegen. In den achtziger
Jahren drohte eine Stilllegung der Strecke. Das darf man nicht vergessen! Die
Deutsche Bahn wollte nicht mehr fahren. Es war der Bahn einfach zu kostenträchtig.
Danach gab es eine kommunale Initiative, die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Hessen Süd-Ost. Die KAG hat sich dafür eingesetzt, dass eine neue schnelle Verbindung geschaffen wird. Wir haben dann als öffentliche Hand ein neues Fahrzeug finanziert, was dann als “Schneller Odenwälder” den Anfang gemacht hat.
Und anschließend kam die Verhandlung zur neuen Odenwaldbahn – etwas vor 2005.
Mit einem Invest in die Strecke, die wieder “flott” gemacht wurde (höheres Tempo), ein Investieren in die Bahnhöfe, wobei auch die Gemeinden finanziell geholfen haben, da wurden mehr als 20 Fahrzeuge – die heutigen Intinos angeschafft – und die Direktverbindung nach Frankfurt wurde aufgenommen. Das Ganze war so erfolgreich, dass der RMV heute sagt: Wir sind am Anschlag. Wir haben eine Steigerung der Fahrgastzahlen auf der Odenwaldbahn von plus 50 Prozent in den vergangenen 15 Jahren bekommen. Und es muss weitergehen auf der Odenwaldbahn und es wird weitergehen!
Im übrigen haben wir schon vor dem Beschluss seinerzeit auch den 2-gleisigen Ausbau zwischen Darmstadt Ost und Darmstadt Nord mitfinanziert.
Wir haben uns für die Pfungstadt-Bahn entschieden. Seinerzeit ist es auch eine interessante Frage gewesen, ob die Straßenbahn Vorteile haben könnte. Aber wir haben damals gesagt: Nicht die Straßenbahn, sondern die Eisenbahn ist dort die richtige Lösung.
Mittlerweile gab es auch den Nachkauf von Fahrzeugen für die Odenwaldbahn.
Ich sage das hier nur deswegen, weil in der Diskussion um den ÖPNV gerne der
Eindruck erweckt wird, als müssten wir ein schlechtes Gewissen wegen der
Odenwaldbahn haben. Die Odenwaldbahn ist wegen uns das geworden, was sie heute ist.
Ähnliches gilt im Busverkehr. Wir haben die Busbeschleunigung auf der B28 seit vielen Jahren. Deswegen ist der Bus so erfolgreich auf dieser Strecke und die Straßenbahn so schwer finanzierbar. Wir haben ein Studententicket eingeführt, vor mehr als 20 Jahren.
Was damals in Frankfurt gleichzeitig mit uns eingeführt wurde, ist mittlerweile Standard – fast in der ganzen Bundesrepublik. Wir haben die Kapazitäten im Busverkehr ausgebaut, nicht nur durch die Größe der Fahrzeugen und den Ausbau von Haltestellen. Wir haben Spätverkehre eingeführt, Wochenendverkehre bestellt. Wir haben den Takt verdichtet. Wer die Erfolge nicht glaubt, vergleiche mal den Fahrplan von Dadina von vor 20 Jahren mit dem heutigen Fahrplan. Mit dem Mobitick haben wir für Schülerinnen und Schüler ein Zeichen gesetzt in dieser Region. Nun leben wir mit dem Erfolg. Das Bussystem ist am Anschlag und für diesen Zustand haben wir viel Geld ausgegeben. Wir hatten im Ausschuss darüber gesprochen: Es ist immer defizitär, neuen ÖPNV zu beschließen. Nochmal zusammenfassend: Wir haben auch im Busverkehr viel Geld ausgegeben
Und jetzt kommen wir zur Straßenbahn. Die Straßenbahn hat natürlich eine sehr lange Geschichte. Die jüngere Geschichte beginnt damit, dass die Stadt Darmstadt gesagt hat: Wir wollen eine Straßenbahn nach Kranichstein! Das war nicht unumstritten. Da wurde lange gestritten. Ich erinnere mich noch gut an den Stadtverordneten aus Kranichstein, der für den Bus gekämpft hat. Und es wurde seinerzeit auch der Spurbus ins Spiel gebracht. Ich selbst war zu der Zeit dann auch unterwegs in Deutschland und wir haben uns den Spurbus angeschaut und sind den auch gefahren. Es wurde dann die politische Entscheidung getroffen. Zugunsten der Straßenbahn. Das war eine heftige Auseinandersetzung in Darmstadt. Ich meine, es war die richtige Entscheidung.
Damals hat aber die Stadt Darmstadt gesagt: Wir planen selbst. Warum? Weil das Unternehmen HEAG gegen die Straßenbahn war. Das war eine Zeit, in der sogar das eigene Unternehmen gesagt hat: Straßenbahn sind nicht die Zukunft – wir wollen in Busverkehr investieren. Die Stadt hat aus politischen Gründen gesagt: “Nein, wir wollen die Straßenbahn”, und hat dies durchgesetzt. Der Planer, welcher eingestellt und mit der Planung beauftragt wurde, ist Matthias Altenhein gewesen, welcher nachher zur Leitung der Dadina bestimmt wurde.
Wir haben als Kreis die Verlängerung nach Alsbach-Hähnlein finanziert. Wir haben die Verlängerung in Arheilgen wahrgenommen, welche die Stadt Darmstadt finanziert hat. Wir haben jetzt das Projekt auf der Lichtwiese. Die Straßenbahn wächst immer weiter.
Wir hoffen auch, dass es weitergeht. Vor 20 Jahren untersuchten wir schon die Verlängerung in Griesheim. Sie kommt nicht so richtig vorwärts, weil die NKU nicht gut genug ist. Aber wir arbeiten dran. Es ist aktuell wieder eine neue Studie unterwegs. Vielleicht reicht es diesmal .
Die HEAG hat die Verlängerung nach Wixhausen angekündigt, falls wie vorgesehen das neue Depot wirklich an die Stelle im Norden kommt. Und wir haben wirklich vielversprechende Untersuchungen für die Straßenbahn nach Weiterstadt. Vor 10 Jahren war diese noch politisch unerwünscht. Da gab es immerhin ein Einkaufszentrum in der Mitte und die Darmstädter dachten: “Wir fahren doch nicht die Leute mit unserer eigenen Straßenbahn auch noch raus zum Loop5.” Und die Weiterstädter haben gesagt: “Uns ist das alles zu kompliziert mit der Integration einer Straßenbahn in den Ort.” Heute sieht die Lage besser aus.
Warum sage ich das? Weil hier in der Region nicht eine Systementscheidung ansteht, bei der man ein System gegen das andere ausspielen muss, sondern weil wir in der Vergangenheit bei allen Verkehrsmitteln Druck gemacht haben, weil wir für alle konkurrierenden Verkehrssyteme viel Geld in die Hand genommen haben.
Jetzt soll heute und hier eine Entscheidung zugunsten einer Straßenbahn getroffen werden. Und ich möchte nochmal betonen: Es liegen alle Informationen auf dem Tisch. Wer das Gegenteil behauptet, wird das so lange behaupten, bis alle seiner Meinung sind. Es liegen die Informationen auf dem Tisch, um qualifizierte Entscheidungen treffen zu können. Und so einfach ist das Leben nicht, dass man die anderen Menschen dann für uninformiert erklären kann, wenn sie der eigenen Meinung nicht zustimmen wollen.
Zweitens: Die meisten Fachleute empfehlen die Straßenbahn.
Das Dritte: Es gibt gute praktische Gründe, sich für die Straßenbahn zu entscheiden. Es ist unser eigenes Unternehmen, welches bauen möchte, und damit können wir auch lokal steuern. Darüber hinaus fehlt das Vertrauen in die komplexe Struktur eines Bundesunternehmens wie der DB Netz, dass wir ein eisenbahnrechtliches Verfahren in der gleichen Tiefe in der gleichen Schnelligkeit hinbekommen – und auch noch mit der Besonderheit, dass das System als Stadt-Land-Bahn straßenbahnrechtlich noch bis zum Schloss gehen müsste. Und so weiter und sofort. Wir haben also Zweifel, dass wir in der Praxis – selbst wenn es auch interessant wäre – dass wir in der Praxis mit der anderen Entscheidung gut vorwärts kämen.
Und es gibt politische Gründe. Und das ist für mich der wichtigste Punkt. Gute Politik sollte ab einem bestimmten Punkt nicht mehr reden, sondern handeln. Und es ist das Risiko der Politik, dass man möglicherweise auch Fehler macht. Dann werden die
Fehler korrigiert. Aber lieber handele ich jetzt und investiere noch Mal in eine vertiefte Planung durch ein Unternehmen, was sich gut auskennt. Und das Unternehmen wird uns irgendwann sagen: Jawohl, das geht gut und das kostet uns soundso viel.
Ich bin nicht sicher, ob am Ende die Zuschussgeber mitmachen. Aber: Wir müssen einen Schritt weitergehen, damit war das herausfinden.Und ich bin eigentlich guter Hoffnung, dass die Situation sich am Ende gut darstellen wird. Die ICE-Debatte lehrt uns, dass auf andere zu warten möglicherweise nur zu Stillstand führt.
Heute steht hier im Raum eine Entscheidung an. Ich meine, alle Argumente sind ausgetauscht. Ich finde es gut, dass hier auch die Gegenargumente noch mal eingebracht wurden. Damit kann keiner behaupten, dass wir blind gewesen seien.
Ich habe begründet, warum wir in den letzten 20 Jahren eine kraftvolle Entwicklung im ÖPNV hatten. Aber aufgrund der Klimakrise ist genug eben nicht genug. Wir müssen weitermachen – das sind wir unseren Kindern auch schuldig! Und wir tun das hier und heute mit Mut und Augenmaß. Dankeschön.
Robert Ahrnt am 22.6.2020 im Kreistag