Rahmenkonzeption für die Unterbringung von Asylsuchenden und Betreuungsschlüssel

Kreistagssitzung 28.9.2015

TOP 23+24 Rahmenkonzeption für die Unterbringung von Asylsuchenden und Betreuungsschlüssel

Barbara Walter

 

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren,

Sie stimmen sicher mit mir überein, dass das Thema Asyl in seiner gegenwärtigen Problematik, seiner Präsenz in allen Medien und allen Ebenen, seiner Dynamik und dem daraus resultierenden Handlungsdruck vieles uns Bekannte übertrifft.

Daher zunächst einmal meinen Dank, bzw. dem meiner Fraktion B90/Die Grünen an alle Akteure:

  • an Rosemarie Lück als zuständige Dezernentin und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen und Kirchen und vor allem
  • an die große Gemeinschaft der Ehrenamtlichen.

 

Wir befassen uns heute mit den folgenden drei Vorlagen

  • 2968-2015 – Rahmenkonzeption für die Unterbringung.

Es ist sinnvoll, zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese lediglich auszusetzen und keine Überarbeitung bzw. Neufassung zu verabschieden. Die aktuelle Entwicklung und Dynamik, allein hinsichtlich der Anzahl der Flüchtlinge, lässt jede Konzeption innerhalb kürzester Zeit überholt aussehen. Standards können teilweise nur als wünschenswert formuliert, aber rein logistisch, nicht mehr umgesetzt werden.

Wir werden daher dieser Vorlage zustimmen.

 

  • 3023-2015 – Soziale Betreuung / Linke

Klingt ja ganz gut, liebe Kollegen der Linken, aber zum einen soll die Konzeption gerade vorübergehend ausgesetzt werden, zum anderen der Betreuungsschlüssel verbessert werden und, lt. den Ausführungen von Frau Lück – auch im Fach-Ausschuss – soll auch das Personal in der Verwaltung moderat aufgestockt werden.

Sie stimmen daher sicher mit mir überein, dass sich Ihr Antrag damit erledigt hat.

 

  • Bleibt noch die Vorlage 2897-2015 – Überprüfung des Personalschlüssels, Anhebung auf 1:120

 

Dem DE vom Wochenende war zu entnehmen, dass das Angebot an die Bürgermeister der Kreiskommunen, Personalkosten für eine Vor-Ort- Betreuung der Asylbewerber zu übernehmen, wenn dafür eigenes Personal eingestellt wird, nicht übermäßig angenommen wird.

Im Fach-A erwähnte Frau Lück, dass sie mit den Bürgermeistern über diese Option gesprochen habe, leider wurde dies von den Mitgliedern des Ausschuss nur zur Kenntnis genommen und nicht inhaltlich diskutiert.

Überraschend finde ich die Zurückhaltung nicht, denn es bleibt doch einiges offen. Möglicherweise gibt es ja bereits eine Vereinbarung mit den Bürgermeistern zu der Art der Umsetzung, aber dann sind sie mir / uns nicht bekannt.

Ausgehend von der Anlage, Aufgaben der sozialen Betreuung frage ich mich:

  • Welche Aufgaben sollen seitens der neuen Hauptamtlichen in den Rathäusern übernommen werden, welche verbleiben möglicherweise beim Landkreis?
  • Wie soll eine Aufgabenverteilung zwischen Hauptamt im Rathaus und dem Ehrenamt aussehen? Könnte da jede Kommune ihre eigenen Kriterien bestimmen?
  • Da niemand voraussagen kann, wie viele Menschen allein dieses Jahr noch zu uns kommen werden, ist eine Personalplanung – und somit HH-Planung für das kommende Jahr – schon fast ein wenig Kaffeesatz-Leserei.

Das Problem der Planungsunsicherheit würde sich damit auch auf die Kommunen verlagern.

  • Wie schnell wäre eine Anpassung des Personalbedarfs an steigende Flüchtlingszahlen vor Ort überhaupt möglich – vorausgesetzt es gibt überhaupt geeignetes Personal auf dem Arbeitsmarkt.
  • Schon jetzt ist es so, dass das Ehrenamt immer dort in die Bresche springt, wo Hauptamt – gleich ob im Rathaus oder im Landkreis – mangels Kapazität nicht agieren kann?

Würde sich dies angesichts der Nähe zum Rathaus verschärfen? Berücksichtigt man die Fülle und Komplexität der Aufgaben, stellt sich schon die Frage, ob alle in der Aufgabenliste aufgeführten Tätigkeiten hauptamtlich, auch mit dem neuen Betreuungsschlüssel, überhaupt bewältigt werden können.

  • Im Hinblick auf die vielen Ehrenamtlichen in den Arbeitskreisen, die mit viel Engagement und auf eigenes Risiko – wenn ich an die Absicherung durch die Privathaftpflicht denke – aktiv sind, sollte darüber nachgedacht werden, in einem bestimmten Rahmen kreisweit einheitliche Ehrenamtsverträge, pauschale Aufwandsentschädigungen zu initiieren. Diese sollten/könnten dann von den Standortkommunen umgesetzt werden. Ein Zeichen der Unterstützung und Wertschätzung wäre dies allemal, eine Gleichbehandlung in allen Kommunen außerdem, da es bereits Kommunen, wie z.B. Ober-Ramstadt, gibt, die so verfahren.
  • Gibt es einen Qualitätsrahmen für die Auswahl des Personals?
  • Gibt es einen Plan B, wenn sich einerseits zu wenige Bürgermeister melden und andererseits die Ausschreibungen nicht den gewünschten Erfolg haben?

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich erwähnen, dass die bisherige Unterstützung des Ehrenamts durch den Landkreis, von den vielen Aktiven gesehen und anerkannt wird. Es wurde in den letzten Monaten eine Menge angestoßen und erreicht:

Vernetzungstreffen, Schulungen, der kreisweite Asyl-AK, die am Wochenende ans Netz gegangene Seite Netzwerk-Asyl, die kreisweite Hotline und das finanzielle Engagement bei der Stelle der Koordinatorin Ehrenamt des Dekanats Vorderer Odenwald, um nur einiges zu nennen.

Dies sind wichtige Hilfen für die privaten Akteure vor Ort, die sich im Übrigen dahingehend professionalisieren, indem gemeinnützige Vereine gegründet wurden, sich in der Gründung befinden oder in Vorbereitung sind.

Aber ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass die an vielen Stellen und Ebenen gute Kooperation von dem Einsatz und Engagement aller Beteiligten lebt. Ich bin mir bewusst, dass dies auch von den Hauptamtlichen viel abverlangt. Umso mehr finde ich es schade, wenn es doch immer wieder mal an irgendeiner Stelle hakt, weil eben Mitarbeiterin X unzuverlässig ist und nicht zu Betreuungsbesuchen kommt und die Ehrenamtlichen und Flüchtlinge vergebens warten. Oder Mitarbeiter XY mit sagen wir mal vorsichtig „unschönen Bemerkungen“ auffällt.

Ich betone, dies sind Ausnahmen, aber leider prägen sie die Wahrnehmung in einem starken Maß.

Fazit zur Vorlage 2897:

Wir, von B90/Die Grünen begrüßen die Senkung des Betreuungsschlüssels und stimmen dieser Vorlage auch zu. Sind aber skeptisch ob diese Maßnahme ausreichend sein wird. Sie ist der momentanen finanziellen Situation des Landkreises sicher angemessen, bei höheren finanziellen Zuweisungen durch Bund / Land muss eventuell neu nachgedacht und gerechnet werden.

Kleine Bitte am Rande: Die beiden Anlagen zu dieser Vorlage sind trotz unterschiedlicher Dateibezeichnungen identisch, es wäre daher gut, wenn mit dem Protokoll die Anlage Betreuungsleistungen nachgereicht werden würde.

 

Zum Abschluss noch ein paar Worte insgesamt.

Wir, als Gemeinschaft, haben es mit einer großen, emotional stark beeinflussten Situation und Problematik zu tun. Es gilt, die derzeit größtenteils positive Grundstimmung in der Bevölkerung zu bewahren. Dies kann nur mit Transparenz, einer guten Informationspolitik und dem Ernstnehmen begründeter oder auch unbegründeter Ängste geschehen. Wir wissen, nicht alle Menschen, die zu uns kommen, sind Kriegsflüchtlinge, nicht alle werden auf Dauer hierbleiben können. Da von „Wirtschaftsflüchtlingen“ zu sprechen, grenzt an Diskriminierung, wird beispielsweise

  • weder den Sinti und Roma vom Balkan gerecht, die allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch ausgegrenzt werden, denen Teilhabe an Bildung und Beruf und Gesundheitsvorsorge vorenthalten wird und zu unbezahlbarem Luxus macht.
  • Noch den Menschen aus Afrika gerecht, die z.T. aus desolaten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu uns kommen. Verhältnissen an denen wir, der Westen einen großen Anteil haben, in dem es eben nur ein unzureichend faires Handelssystem gibt, indem Wertschöpfung Vorort vorenthalten wird und die Verdiener „global player“ sind, in dem wir aufgrund unseres Konsumverhaltens „immer mehr / immer billiger“ ein Antriebsrad sind.
  • Und sie wird auch nicht den Menschen gerecht, die aus dem europäischen Nicht-EU-Ausland kommen. Die meisten diese Flüchtlinge kommen nicht um unsere Sozialsysteme auszunutzen sondern um Arbeit zu finden, ihren Kindern Bildung und damit Perspektive zu ermöglichen.

Da braucht es ein sinnvolles Einwanderungsgesetz – glücklicherweise ist dies ja auch bei fast allen politischen Akteuren auf Bundesebene erkannt worden.

Und wenn wir von der finanziellen Belastung des öffentlichen HH durch die Flüchtlinge sprechen, sollten wir nicht vergessen, dass die Belastung durch Steuerflüchtlinge um ein Vielfaches höher ist, es ist einfach auch oder nur eine Frage der Wahrnehmung.

Fehlender Wohnraum und die begonnene Diskussion zur Beschlagnahmung von Wohnungen, Gebäuden.

Ja, es gibt eine Menge Leerstände, es gibt Spekulationsobjekte, und ja, es stimmt, Eigentum ist auch eine Verpflichtung. Insofern finden wir von B90/Die Grünen die entstandenen Diskussionen verständlich und nachvollziehbar. Aber, es muss darauf geachtet werden, dass eine mögliche Umsetzung sozialverträglich gestaltet wird, dass keine negativen Stimmungen hochkochen, die von rechter Seite – wie bereits mehrfach geschehen – genutzt und aufgeputscht werden.

Und zu guter Letzt: „Eigentum verpflichtet“ sollte auch und zu allererst auch für Eigentum in öffentlicher Hand gelten. So z.B. für Einrichtungen des Bundes gelten und die BIMA mit der Freigabe entsprechender Gebäude beispielhaft voran gehen.

Auf alle Facetten dieses Gesamtthemas, Beispiel sichere Herkunftsländer, einzugehen, würde den zeitlichen Rahmen meines Beitrags sprengen und letztlich geht es heute an dieser Stelle ja auch „nur“ um die Handlungsmöglichkeiten des Landkreises. Der als mehr oder weniger letztes Glied in einer Entscheidungs- und Handlungskette aufgrund von Bundes- und Landesvorgaben agieren oder vielmehr reagieren muss.

Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir hier im Landkreis weiterhin gemeinsame Entscheidungen treffen zum Wohle der Menschen, die bei uns leben, die zu uns kommen und die haupt- und ehrenamtlich daran arbeiten, dass es ein gutes Miteinander gibt.

 

Vielen Dank