09. 12. 19, F. Battenberg
Sehr geehrte Vorsitzende, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Nicht in allen hessischen Landkreisen ist es selbstverständlich, dass Haushaltssatzung und Haushaltsplan noch im jeweiligen Vorjahr verabschiedet werden können. Dass dies im Landkreis Darmstadt-Dieburg voraussichtlich für das kommende Jahr wieder gelingen wird, ist das Verdienst einer effektiv arbeitenden Kreisverwaltung unter einem engagierten und zielstrebenden Landrat, aber auch der Zuarbeit des Ersten Kreisbeigeordneten und der Sozialdezernentin. Für diese Leistung möchten wir ausdrücklich der Kreisverwaltung, besonders Herrn Hutterer und den ihm Zuarbeitenden, danken. Ich möchte aber auch ein Lob für diejenigen Abteilungen aussprechen, die sich dem Prozess des gender budgeting („Haushalt fair teilen“) geöffnet und erste Bewertungskriterien entwickelt haben.
Seit der Einbringung des Haushalts in der vorigen Kreistagssitzung ist gerade einmal ein Monat knapp vergangen, so dass nur noch wenig Zeit für die Abgeordneten des Kreistags bestand, sich mit der Vorlage auseinanderzusetzen. Auch wir von der Kreiskoalition waren nicht sehr glücklich darüber, dass wir erst zu einem relativ späten Zeitpunkt im Oktober erste Orientierungsdaten aus dem Kommunalen Finanzausgleich erfahren haben, auf deren Grundlage die Einzelberechnung der Produkte beruhen. Die Verzögerung beruhte zu einem Teil wohl auf den Konsequenzen des hessischen „Starke Heimat-Gesetzes“, durch das Teile der Ausgleichszahlungen in solche Kommunen umgelenkt wurden, in denen sie wegen finanzieller Engpässe, wie zu weniger Gewerbesteuereinnahmen, dringender benötigt wurden. Dies mag streng genommen ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung sein. Doch wir von der GRÜNEN-Kreistagsfraktion sind der Ansicht, dass dies eine Lenkungsmaßnahme ist, die aus Gründen der Solidarität zwischen finanzschwachen und finanzstarken Kommunen und Kreisen durchaus Sinn macht. Es wird Zeit, dass wir uns von romantischen Vorstellungen unbeschränkter Gemeindeselbstverwaltung im Geist des Freiherrn vom Stein verabschieden, über die die Entwicklung längst hinweggegangen ist. Letztlich ist auch das allgemein positiv bewertete Instrument der Hessenkasse im gleichen Rahmen zu sehen – nur dass hier die davon profitierenden Kreise und Gemeinden die Hilfszusage des Landes keineswegs zurückweisen wollen.
Die Unsicherheiten hinsichtlich der Berechnungsgrundlagen des Kreishaushaltes sind freilich geblieben, zumal nach wie vor nicht klar ist, ob vielleicht doch noch durch Lockerung der strengen Rückzahlungsbedingungen bei der Hessenkasse eine Entlastung erreicht werden kann. Dies ergibt sich u.a. aus der erst kurzfristig eingereichten Ergänzungsvorlage zum Haushalt, durch die das ordentliche Ergebnis der Erträge um fünf Millionen Euro nach oben verbessert und nach Abzug notwendiger Aufwendungen von über drei Millionen ein Zahlungsmittelüberschuss von knapp zwei Millionen Euro festgestellt werden konnte. Dass damit die Begehrlichkeiten der kreisangehörigen Gemeinden geweckt und eine Reduzierung der Kreisumlage verlangt wurde, wie es der Griesheimer Bürgermeister als erster auf den Punkt brachte, war zu erwarten. Hierauf einzugehen, wäre jedoch nach Ansicht der GRÜNEN-Fraktion das falsche Signal. Es war mühsam genug, die Kreisumlage auf dem Stand des Vorjahres zu halten. Denn eigentlich waren durch die teilweise erheblich gestiegenen Verpflichtungen des Kreises, etwa auf Grund des Bundesteilhabegesetzes und auf Grund der vermehrten Aufgaben des Schulservice bei der Gestaltung des „Paktes für den Nachmittag“, eine Anhebung durchaus gerechtfertigt gewesen. Man bedenke auch, dass die im Haushalt eingepflegten Zahlen erstmals auf einem „Best-Case-Szenario“ beruhen, die bestehenden Risikofaktoren also mehr oder weniger klein gerechnet wurden und vor allem der verwaltungsintern berechnete Fehlbedarf von über elf Millionen Euro, wie es so drastisch im Vorbericht heißt, „eliminiert“ wurde. Die Realität konnte damit natürlich nicht korrigiert werden, sondern allenfalls die Einschätzung der daraus sich ergebenden Konsequenzen.
Bedenklich erscheint uns die Forderung auf Reduzierung der Hebesätze für die Kreisumlage auch deshalb, weil vor dem Hintergrund der in Hessen nach wie vor geltenden Schuldenbremse der politische Handlungsspielraum des Kreises erheblich geschrumpft ist und Investitionen nur noch in begrenztem Umfang zur Absicherung der Daseinsvorsorge für die Kreisbevölkerung zulässig sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich auch die in der vergangenen Woche im Haupt- und Finanzausschuss erneut aufgeworfene Frage nach den „Freiwilligen Leistungen“ des Landkreises und das dabei zu nutzende Einsparpotential. Deren Umfang ist nach wie vor umstritten und konnte auch nicht durch die Antwort des Kreisausschusses auf die Haushaltsanfrage der Freien Wähler hin geklärt werden. Denn mit den errechneten 6,1 Millionen Euro würde sich ergeben, dass gerade einmal etwas mehr als ein Prozent der Aufwendungen des Kreises betroffen sind. Dies entspräche zwar der Einschätzung des Hessischen Landkreistages, der einem Gutachten von 2014 zufolge von 0,77 Prozent der Gesamtausgaben ausgeht. Doch leistet der Landkreis in Bezug auf seine gesetzlich vorgesehenen Auftrags- und Selbstverwaltungsangelegenheiten im Interesse der Daseinsvorsorge für die Kreisbevölkerung erheblich mehr als die ihn verpflichtenden Mindeststandards. Es wäre fatal, wenn man hier trotz Vorliegen von Mehrleistungen im Sinne der Freiwilligkeit eine Reduzierung verlangen würde; man würde damit die öffentliche Verwaltung auf „Nachtwächterfunktionen“ zurückführen, wie es noch liberale Staatsdenker wie Wilhelm von Humboldt vor 200 Jahren empfohlen hatten, was aber modernen Prinzipien des Sozialstaates eklatant widersprechen würde. Das Argument der Freiwilligkeit von Leistungen des Kreises lässt sich also nur sehr eingeschränkt für Einsparpotentiale im Kreishaushalt verwenden.
Auch der Landkreis ist Teil der kommunalen Familie in der Region. Er verfügt nur zu einem geringen Teil über eigene Steuereinnahmen und ist deshalb zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben und weiterer Verpflichtungen auf Finanzquellen im Sinne von Drittmitteln bzw. Schlüsselzuweisungen angewiesen. Soweit er staatliche Auftragsangelegenheiten wahrnimmt, erhält er vom Land Erstattung, nach dem Konnexitätsprinzip tendenziell vollständig – doch, wie wir inzwischen haben erfahren müssen, gilt dies in vielen Fällen nur sehr bedingt. Die kommunalen Aufgaben, die von den Städten und Gemeinden des Kreises nur deshalb nicht selbst erledigt werden können, weil sie in kreisweitem Interesse sind, und weil z.B. übergreifende Standards zu ihrer Erledigung sinnvoll erscheinen, müssen über die Kreis- und Schulumlage von den Gemeinden finanziert werden. Die Erledigung dieser Aufgaben kommen selbstverständlich den Kommunen direkt zugute, so dass der Kreis eigentlich ein Geschäft zugunsten Dritter ausführt, wie man es juristisch nennen würde. Aber nur auf diese Weise kann Bildungs- und Chancengerechtigkeit im Hinblick auf die Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen im Kreis oder etwa ein einheitliches soziales Netzwerk bei der Bekämpfung der Armut realilsiert werden.
Dennoch sollten wir uns nicht einfach damit zufrieden geben, dass der Kreisausschuss auf Grund der fachlichen Kompetenz der zuständigen Verwaltungsabteilungen einen Haushaltsentwurf vorgelegt hat, der in sich stimmig zu sein scheint. Bekanntlich gehört das parlamentarische Budgetrecht zu den großen historischen Errungenschaften des Liberalismus im 19. Jahrhundert. Nach der Revolution von 1848 ging es in die Verfassungen der deutschen Bundesländer ein und wurde dann auch zum grundlegenden Recht der Kommunalparlamente. Daran möchte ich auch an dieser Stelle erinnern. Gewiss ist es ein Vorrecht der Verwaltung, bei uns also des Kreisausschusses, den Entwurf einer Haushaltssatzung zur Beschlussfassung durch den Kreistag vorzulegen – dies ist auch nicht anders möglich, weil die Abgeordneten des Kreistags keinen eigenen Überblick über die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben haben können. Es darf aber nicht dazu kommen, dass die Parlamentarier, ob sie nun der Opposition oder der Koalition zugehören, die Vorlage bloß abnicken, weil sie es nicht besser wissen. In der verantwortlichen Wahrnehmung des Budgetrechts durch den Kreistag zeigt sich, ob dieser seinem Verfassungsauftrag gegenüber dem Kreisausschuss wahrzunehmen in der Lage ist.
Es ist immer noch die Frage, ob die politischen Schwerpunkte richtig gesetzt wurden, ob die vorhandenen Ressourcen sachgerecht eingesetzt und Einsparpotentiale ausreichend genutzt wurden. Insofern sehe ich Haushaltsanträge aus der Mitte des Kreistags als wichtige Denkanstöße, die Ansatzpunkte für Korrekturen und Richtungsänderungen bieten, die auch zu einem so späten Zeitpunkt noch möglich sein müssen. Auch wir in der Koalition verstehen uns nicht einfach als Erfüllungsgehilfen des Kreisausschusses, sondern begleiten dessen Haushausvorlage kritisch – auch wenn wir hinsichtlich der Vorlage für 2020 zum Ergebnis gekommen sind, dass im Moment, um nicht das Gesamtergebnis zu gefährden, nur geringer Korrekturbedarf besteht. Wir wissen alle, dass im Hinblick auf die entstehenden Zwänge der Digitalisierung durch das Onlinezugangsgesetz und den „Digital-Pakt Schule“ ebenso auch im Hinblick auf die Belastung des Allgemeinen Sozialen Dienstes sowie des Schulservice-Personals dringender Handlungsbedarf besteht. Wir sind jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass wir – abgesehen vom Sozialdienst – der Personalbedarf im Moment noch nicht sicher kalkulierbar ist, so dass wir die Entwicklung weiter beobachten und gegebenenfalls unterjährig durch befristete Personalverträge und zusätzliche Sachmittel nachsteuern wollen.
Erfreulich erscheint, dass der Haushaltsplan für 2020 auch diesmal wieder mit einem ausgeglichenen Ergebnis rechnen kann. Nachdem das Haushaltsjahr 20l9 entgegen der schlechteren Prognosen voraussichtlich mit einem Überschuss im Ergebnishaushalt von zwölfeinhalb Millionen Euro abschließen kann, ist nach der Ergänzungsvorlage mit einem Überschuss von weiteren eineinhalb Millionen zurechnen. Auch der in diesem Jahr geringere Zahlungsmittelüberschuss könnte nach gegenwärtiger Berechnung auf knapp zwei Millionen Euro steigen, was aber sicher durch unterjährige Nachträge wieder geringer ausfallen wird. Einsparpotentiale wurden ausgeschöpft und zusätzliche Aufgaben im Rahmen der verfügbaren Mittel korrekt eingeplant. Auch darauf ist es zurückzuführen, dass der Hebesatz für die Kreis- und Schulumlage mit gleichbleibend 53, 45 % der Kreisumlagegrundlagen nicht verändert werden musste. Durch die Ergänzungsvorlage zum Haushalt konnte der gesetzlich vorgesehene Zuschlag zur Kreisumlage für die schulischen Aufgaben um mehr als einen halben Prozentsatz abgesenkt werden, was eine entsprechende Erhöhung des Hebesatzes für die allgemeine Kreisumlage zur Folge hatte.
Abschließend möchte ich noch kurz auf die vorliegenden Haushaltsanträge eingehen. Der Antrag des Jugendhilfeausschusses auf eine weitere Stelle bei der Jugendsozialarbeit ist sinnvoll, um damit eine lückenlose Abdeckung der Sekundarstufe I der Kreisschulen zu gewährleisten. Da diese Maßnahme intern geregelt werden kann, entstehen offenbar keine weiteren Kosten. – Der Antrag der Linken auf Errichtung zweier weiterer Jobcenter – gemeint sind wohl Außenstellen der Kreisagentur für Beschäftigung – gehört in die Reformüberlegungen der Zukunftswerkstatt und muss daher heute abgelehnt werden. – Die – zum Teil heute zurückgezogenen – Linken-Anträge über die Veröffentlichung von Sozialdaten, die Praxis der regelmäßigen Überprüfung des anzuerkennenden Mietniveaus für Sozialgeldbezieher und die Härtefälle bei Überschreibung der Mietobergrenzen greifen teilweise in internes Verwaltungshandeln ein, sind aber jedenfalls keine Haushaltsanträge. Ob sie als Prüfanträge gestellt werden können, müssen die Antragsteller selbst entscheiden. Die von den Linken beantragte Fachstelle gegen Kinderarmut sollte innerhalb des im Kreistag beschlossenen „Runden Tisches“ zur Umsetzung des Aktionsplans gegen Kinderarmut diskutiert werden; insofern ist auch dieser Antrag abzulehnen. – In vollem Umfang stimmt die Fraktion der GRÜNEN dem weiteren Antrag des Jugendhilfeausschusses zur Erweiterung des Allgemeinen Sozialen Dienstes um vier neue Planstellen zu, da das Jugendamt des Landkreises anders seine Beratungsdienste nicht mehr sachgerecht erfüllen kann. Der Antrag der CDU-Fraktion auf Reduzierung der Kreisumlage ist hingegen abzulehnen, wie ich schon zuvor erläutert hatte.
Ergänzend möchte ich noch bemerken, dass die Kreiskoalition diesmal ausdrücklich auf eigene Haushaltsanträge verzichtet hat. Wir haben an verschiedenen Stellen, besonders im Schulservice und bei der Umsetzung des Digital-Paktes, durch einen Bedarf an zumindest befristeten Stellen und auch an Sachmitteln erkannt. Doch wollten wir uns im Interesse einer Minimierung weiterer Haushaltsbelastungen auf die vom Jugendhilfeausschuss beantragten und dringend benötigten Stellenaufwüchse beschränken und wegen aller anderen Stellenwünsch unterjährig nachsteuern oder den Haushaltsplan für 2021 abwarten.
Soweit meine Bemerkungen zum Haushalt. Zum Wirtschaftsplan der Kreiskliniken wird Frau Streicher-Eickhoff ergänzend Stellung beziehen. Ich bitte also namens der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darum, dem vorgelegten Haushaltsentwurf einschließlich der Ergänzungsvorlage sowie der beiden Anträge des Jugendhilfeausschusses zuzustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!