Kreistag 10.11.2014
TOP 10 Businessplan Ästhetische Chirurgie Kreiskliniken
Brigitte Harth
Der Landkreis eröffnet eine Abteilung Ästhetische Chirurgie auf dem Schloss Heiligenberg und legt dafür einen Businessplan vor. Dieser legt dar, dass sich diese Planung trotz notwendiger Anfangsinvestitionen innerhalb weniger Jahre rechnen wird, und der Gewinn soll dann wiederum die Kreiskliniken stabilisieren.
Dieser Punkt findet Zustimmung in der grünen Fraktion und reiht sich ja letzten Endes ein in eine lange Reihe strategischer Entscheidungen für die Neuausrichtung und Sanierung der Kreiskliniken. Dabei hat bisher die Leitung der Kreiskliniken durchaus eine Mischung aus Gespür für den Markt und seriöser Finanzplanung bewiesen. Wenn die Freien Wähler also im HFA darstellen, dass sie dem Businessplan nicht trauen und ihn nicht für begründet halten, kann ich dem nur entgegen halten: Auf schlechten Erfahrungen mit dieser Klinikleitung kann diese Ablehnung eigentlich nicht beruhen.
Wir wollen also mit der Ästhetischen Chirurgie Geld für die Pflichtaufgaben der Grundversorgung im Krankenhausbereich verdienen. Das kann man unterschiedlich beurteilen – Fakt ist aber, dass auch die Gesundheitspolitik des Bundes dafür sorgt, dass wir uns nach neuen Geschäftsfeldern umsehen müssen, mit denen wir Geld verdienen können. Die Gesundheitspolitik funktioniert nicht mehr so, dass per se ausreichend Geld für die Grundversorgung der Bevölkerung zur Verfügung gestellt wird. Deshalb können die lukrativen Geschäftsfelder nicht einfach den Privaten überlassen werden. Uns leuchtet die hier vorgestellte Strategie und Planung ein.
Die Inhalte dieser jüngsten Strategie-Entscheidung haben bei der grünen Fraktion schon deutlich zwiespältigere Gefühle ausgelöst, denn zu den Kernaufgaben der Grundversorgung gehören schönheitskosmetische OPs eindeutig nicht. Aber: Viele OPs im ästhetischen Bereich sind medizinisch indiziert und keine Schönheits-OPs – etwa dann, wenn Körperfunktionen konkret eingeschränkt sind, auch wenn Fehlbildungen psychisch und sozial massiv belasten. Hier hat der Vortrag des zuständigen Chefarztes Dr. Lang in der Fraktion auch noch einmal das ganze Spektrum der ästhetischen Chirurgie vorgestellt und den Blickwinkel geweitet. Planungen, die darauf ausgerichtet sind, tragen wir ohne Einschränkung mit. Und für solche Indikationen können und sollten wir auch öffentliche Mittel in die Hand nehmen.
Nur etwa die Hälfte der Eingriffe der Ästhetischen Chirurgie auf dem Heiligenberg werden Schönheits-OPs im engeren Sinn sein, und letzten Endes haben wir überhaupt nur bei diesen Bedenken. Allerdings ist in den Gesprächen bei vielen von uns die Überzeugung gewachsen, dass, wenn denn überhaupt schönheitskosmetische OPs in den Kreiskliniken vorgenommen werden sollen, dass diese sich dann deutlich an ethischen Grundsätzen und nicht wie bei den meisten Privatkliniken ausschließlich am Geldverdienen orientieren sollten. Hier fehlt bisher nach unserem Dafürhalten in den Kreiskliniken das Instrument der Ethik-Kommission, die Grenzfälle auch in anderen medizinischen Fachgebieten beleuchten könnte. Wir haben dies in den Vorberatungen angesprochen; hier herrscht weiter Handlungsbedarf.
Deutlich ist in der grünen Fraktion auch gesagt worden, dass es jeder und jedem Einzelnen überlassen bleiben muss, ob sie oder er Schönheits-OPs an sich vornehmen lässt. Auf keinen Fall wollen wir den „erhobenen moralischen Zeigefinger“ gegenüber der individuellen Entscheidung eines oder einer Betroffenen.
Ob das historische Kulturdenkmal Schloss Heiligenberg mit der steilen und engen Auffahrt der geeignete Ort für die Einrichtung einer Schönheitsklinik ist, kann man durchaus in Zweifel ziehen. Doch letztendlich muss diese Entscheidung das Land als Eigentümer und die Stiftung Schloss Heiligenberg als Verwalterin der Gebäude treffen.
Mehrheitlich hat sich die grüne Fraktion nach ausführlicher Diskussion und Abwägung der Argumente für die Zustimmung zum Businessplan ausgesprochen.
Allerdings wird es von unserer Seite dazu heute auch zwei Gegenstimmen geben. Eine der beiden Gegenstimmen wird meine eigene sein, und ich will dies hier im Rahmen meines Redebeitrags für die Fraktion begründen. Ich tue dies auch deshalb, weil viele Fraktionskollegen durchaus auch die Contra-Argumente als sehr gewichtig erachten, bei einer Abwägung aller Argumente dem Vorhaben aber zustimmen.
Um es klar zu sagen: Mir geht es hier nicht um alle medizinischen Indikationen, mir geht es eindeutig nicht um Schlupflider, die das Sichtfeld einschränken, um Gaumenspalten, die das Sprechen behindern oder um die OP nach dem Brustkrebs. Dies alles sind Leistungen, die die Krankenkassen bezahlen. Und deshalb ist für diese Leistungen auch kein besonderes Schlossambiente für eine bestimmte Lifestyle-Klientel notwendig.
Mir geht es hier ausschließlich um Schönheits-OPs im engeren Sinne. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der oder die Einzelne immer „das Beste aus sich machen muss“; und der hohe individuelle Anpassungsdruck wird immer stärker. Das gilt gerade auch für junge Menschen: Was machbar ist, sollte gemacht werden, und dieser Druck weitet sich in beängstigender Weise auf unsere Körperlichkeit aus. Schiefe Nasen, zu kleine Brüste, Doppelkinn und dicke Bäuche – sind sie in Zukunft ein Zeichen dafür, dass jemand nichts aus sich macht?
Auf der einen Seite wollen wir eine inklusive Gesellschaft werden, und dafür brauchen wir eine hohe Akzeptanz des Andersartigen. Wir brauchen etwas, das quer zu den Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft liegt: die uneingeschränkte Achtung der Würde jedes Menschen und die Wertschätzung jedes individuellen Geschöpfes mit allen Stärken und Schwächen.
Wie soll das in einer Gesellschaft gelingen, in der man nicht einmal mehr alt aussehen darf?
Altern ist immer auch narzisstische Kränkung, aber es ist meine tiefe Überzeugung als Psychologin und als Gerontologin, dass es unsere Lebensaufgabe ist, sich diesen Verlusten, diesem körperlichen Abbau zu stellen. Meine gesellschaftliche Vision ist, dass wir lernen, in Würde zu altern und alles, was damit auch verbunden ist, auch Hässliches und Schwaches, zu akzeptieren.
Das Handeln in der Politik setzt oft in deutlicher Weise Normen. Die öffentliche Hand fördert z. B. die Errichtung von Kinderkrippen. Das heißt ja nicht, dass ich mein einjähriges Kind dort hinbringen muss. Das heißt aber, dass es gut und „normal“ ist, wenn mein Kind dorthin geht, jedenfalls dass diese Möglichkeit besteht.
Deshalb will ich heute gegen das vorliegende Konzept stimmen: Ich möchte nicht vonseiten der öffentlichen Hand das Signal geben, dass es „normal“ ist, sich die Nase operieren zu lassen, die man für hässlich hält. Wer lernt, die eigene ungeliebte Nase zu akzeptieren, ist klüger und glücklicher und auch offener gegenüber den schiefen Nasen anderer Leute. Auch wenn ich im Einzelfall immer Verständnis für solche Entscheidungen einzelner habe. Aber das ist eine andere Dimension.
Die Mehrzahl meiner Fraktionskollegen möchte das neue Angebot auf dem Heiligenberg als Möglichkeit sehen. Nicht nur als Möglichkeit, die Finanzen aufzubessern, sondern auch als verbessertes Angebot für die Patienten. Wenn die Nasen-OP also sein muss, dann doch bitte unter den seriösen Bedingungen, die die Kreiskliniken bieten – inklusive einer Beratung, die nicht vorrangig dem Profit verpflichtet ist. Deshalb wird die grüne Fraktion bei 2 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen die vorgelegte Konzeption mittragen.