Streaming

Kreistagsrede zu Antrag4055/16 (Streaming),7.10.16, F. Battenberg)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren,

vor mehr als acht Monaten hatte ich an dieser Stelle zu einem Antrag der Freien Wähler/Piraten zur Einführung von Live-Streaming für unseren Kreistag Stellung bezogen. Ich hatte damals namens der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen können, weil vor der damals anstehenden Kommunalwahl eine notwen­dige Regelung in der Hauptsatzung nicht mehr möglich gewesen wäre und die technisch-rechtlichen Details noch einer Klärung bedurft hätten. Ich habe damals aber ausdrücklich hinzugefügt, dass wir für die nächste Wahlperiode kein Präjudiz schaffen sollten. Dies hieß aber: Die damalige Ablehnung war nur vorläufig und sollte einer Neuorientierung nicht im Wege stehen. Ich hatte damals einleitend ausgeführt und möchte dies jetzt wiederholten:

Die Garantie der Öffentlichkeit von Sitzungen parlamentarischer Gremien in einem Landkreis ist ein hohes Rechtsgut, das nur im Falle begründeter und eng begrenzter Ausnahmetatbestände beschränkt werden darf. Deshalb legt das Hessische Kommu­nalrecht fest, dass die Sitzungen des Kreistags grundsätzlich öffentlich sind. Gemeint ist damit allerdings die Saal-Öffentlichkeit. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind so gehalten,an den Sitzungen persönlich teilzunehmen, wenn sie sich einen Eindruck über den Ablauf der Verhandlungen verschaffen wollen.“

Die rasante Medienentwicklung der letzten Jahre hat nun verständlicherweise das Bedürfnis wecken lassen, nun über die übliche Saalöffentlichkeit hinaus zu gehen, den Bürgerinnen und Bürgern die Chance zu bieten, in den eigenen vier Wänden den Sitzungen zumindest akustisch zu folgen, ohne selbst präsent sein zu müssen. Durch das Mittel der Streaming Media können bei entsprechender technischer Vor­richtung die entstehenden Daten nahezu in Echtzeit an die Empfänger übertragen werden. Durch den Livestream wird allen, die dies anfordern durch eine Verbindung zwischen dem Medienserver des Senders und dem Rechner des Nutzers bzw. der Nutzerin geschaffen. Insofern ist dies ein durchaus attraktives Angebot. Die HGO hat deshalb seit der Reform vom Dezember 2011 diese Möglichkeit zugelassen, sofern dies in der Hauptsatzung geregelt wird.

Man muss allerdings eines sehen: Der Übergang von dem Prinzip der Saal-Öffent­lichkeit zu dem der Medien-Öffentlichkeit ist ein Paradigmenwechsel, der sorgsam in seinen Konsequenzen bedacht werden muss. Livestreaming schafft eine neue Art von Öffentlichkeit mit der Folge, dass die Unmittelbarkeit der Sitzungen, die im Kreis­tagsitzungssaal bei persönlicher Präsenz erlebt werden kann, verloren geht. Es ent­steht einerseits eine gewisse Anonymität und Ferne. Andererseits ist aber auch klar – Das Netz vergisst nichts! – : Versprecher oder unglückliche Formulierungen bleiben allzeit erhalten und können sich für die oder den einzelnen nachteilig auswirken. Ein Verzicht auf weitere Redebeiträge könnte die Folge sein! Problematisch ist es auch, wenn einzelne Abgeordnete auf Grund ihres informationellen Selbstbestimmungs­rechts einer Internetübertragung ihres Redeauftritts nicht zustimmen, weil die Debat­te nicht geschlossen von außen aus verfolgt werden kann.

Zu beachten ist aber auch, dass für Kreistagsabgeordneten bei ihren Wortbeiträgen ein Stück ihrer Unbefangenheit verlieren. Sie haben es jetzt nicht mehr mit einer sichtbaren, im Saal anwesenden Öffentlichkeit zu tun, sondern mit einer anonymen Zuschauerschaft, deren Reaktion nicht mehr einzuschätzen ist. Wenn wir also über die bisherige Saalöffentlichkeit hinaus gehen wollen, müssen triftige Gründe dafür ins Feld geführt werden.

Wir in der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen sind überwiegend der Meinung, dass es solche Gründe gibt: In einem Flächenlandkreis wie dem unsrigen ist es nicht jedem Bürger und jeder Bürgerin ohne weiteres möglich, jederzeit an den Sitzungen persönlich teilzunehmen. Abgesehen von räumlichen Entfernungen, die ein Hindernis sein können, gibt es viele Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, die froh darüber sein dürften, wenn sie die Debatten des Kreistags zuhause oder unterwegs live verfolgen können. Live-Streaming schaff eine zusätzliche Chance, Transparenz und Bürgernähe herzustellen. Wir beklagen uns ja oft über das geringe Interesse der Bürgerinnen und Bürger an unserer Kreistagsarbeit. Wenn wir diese schon nicht dazu motivieren können, in den Sitzungssaal persönlich zu kommen, so sollten wir doch wenigstens versuchen, die technischen Möglichkeiten einer „aufsuchenden Bürgerarbeit“ (wie man es nennen könnte) zu nutzen. Ich könnte mir vorstellen, dass vor allem die jüngere Generation, für die die Internetnutzung zur Selbstverständlich­keit geworden ist, mit dem Live-Streaming-Angebot des Landkreises stärker an unserer Arbeit interessiert werden könnte.

Ich denke also: Der Grundsatz der Öffentlichkeit kommunaler Arbeit über die Saal-Öffentlichkeit hinaus ist wichtig. Dies bedeutet, dass auf eine Transparenz des Sit­zungsgeschehens im Kreistag großer Wert gelegt werden muss. Wer eine Beein­trächtigung der Funktionsfähigkeit des Parlaments durch Audio- und Video-Übertra­gungen der Sitzungen befürchtet, sollte bedenken, dass diese vielleicht sogar ein „Mehr“ an Demokratie bewirken können.

Wir sollten also die Chancen der Streaming-Angebote nutzen. Ob sich diese der technischen Entwicklung geschuldete Erweiterung der Saalöffentlichkeit bewährt, ob es einen signifikanten Nutzerinnen- und Nutzerkreis findet, der die neuen Angebote nutzen wird, wird sich zeigen. Es ist deshalb wichtig, dass das einmal eingeführte Modell in regelmäßigen Abständen evaluiert wird.