Kreistagsrede vom 01. Februar 2016 zum Antrag Az. 3305/16
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Die Garantie der Öffentlichkeit von Sitzungen parlamentarischer Gremien in einem Landkreis ist ein hohes Rechtsgut, das nur im Falle begründeter und eng begrenzter Ausnahmetatbestände beschränkt werden darf. Deshalb legt die Hessische Gemeindeordnung in ihrem § 52 in Verbindung mit § 32 der Landkreisordnung fest, dass die Sitzungen des Kreistags grundsätzlich öffentlich sind; Gleiches gilt für die Sitzungen der Ausschüsse. Gemeint ist damit allerdings die Saalöffentlichkeit. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind so gehalten, an den Sitzungen persönlich teilzunehmen, wenn sie sich einen Eindruck über den Ablauf der Verhandlungen verschaffen wollen.
Die rasante Medienentwicklung der letzten Jahre hat nun verständlicherweise das Bedürfnis wecken lassen, nun über die traditionelle Saalöffentlichkeit hinaus zu gehen, den Bürgerinnen und Bürgern die Chance zu bieten, in den eigenen vier Wänden den Sitzungen zumindest akustisch zu folgen, ohne selbst präsent sein zu müssen. Durch das Mittel der Streaming Media können bei entsprechender technischer Vorrichtung die entstehenden Daten in Echtzeit an die Empfänger übertragen werden. Durch den Livestream wird allen, die dies anfordern, eine Verbindung zwischen dem Medienserver des Senders und dem Rechner des Nutzers bzw. der Nutzerin geschaffen – allerdings so, dass die Daten auf dem Gerät der Endnutzer nicht dauerhaft gespeichert werden können. Insofern ist dies ein durchaus attraktives Angebot, über das man nachdenken kann. Die HGO hat deshalb seit der Reform vom Dezember 2011 diese Möglichkeit zugelassen, sofern die Hauptsatzung dies regelt.
Wenn wir dennoch Bedenken haben, Livestreaming im gegenwärtigen Zeitpunkt einzuführen, so aus drei Gründen:
Erstens: Der auch für den Landkreis anwendbare § 6 Abs. 2 HGO sagt ausdrücklich, dass im letzten Jahr der Wahlzeit des Kreistags keine wesentlichen Änderungen der Hauptsatzung mehr vorgenommen werden sollen, mit gutem Grund: Der nachfolgende Kreistag soll nicht durch Vorgaben des alten gebunden werden, die dieser nicht mehr oder kaum noch hätte umsetzen können. Die Ermöglichung von Livestreaming erscheint uns als eine solche wesentliche Änderung der Hauptsatzung.
Zweitens: Der Übergang von dem Prinzip der Saalöffentlichkeit zu dem der Medienöffentlichkeit ist ein Paradigmenwechsel, der sorgsam in seinen Konsequenzen bedacht werden muss. Livestreaming schafft eine neue Art von Öffentlichkeit mit der Konsequenz, dass die Unmittelbarkeit der Sitzungen, die im Kreistagssitzungssaal bei persönlicher Präsenz erlebt werden kann, verloren geht. Es entsteht eine gewisse Anonymität und Ferne, die leicht zu Missverständnissen führen kann. Dem Endnutzer der gestreamten Kreistags- und Ausschussverhandlungen, werden Steine statt Brot geboten; er wird kaum sagen können, wirklich dabei gewesen zu sein.
Drittens: Für die Kreistagsabgeordneten selbst dürfte die Gefahr entstehen, bei ihren Wortbeiträgen ein Stück ihrer Unbefangenheit zu verlieren. Sie haben es jetzt nicht mehr mit einer sichtbaren, im Saal anwesenden Öffentlichkeit zu tun, sondern mit einer anonymen Mithörerschaft, deren Reaktion nicht mehr einzuschätzen ist. Anders als in den Sitzungen der großen Parlamente, in denen die Medienöffentlichkeit aus Gründen der Transparenz und des öffentlichen Informationsinteresses wichtig ist, kann es den Bürgerinnen und Bürgern eines Kreises zugemutet werden, zu den Sitzungen persönlich zu kommen oder sich nachträglich über die regionalen Medien über die wesentlichen Inhalte zu informieren. Überdies fragt es sich, ob wirklich ein großes öffentliches Interesse an einem Streaming-Angebot des Kreistags besteht. Auch die nachträgliche Information, etwa über die Websites der Fraktionen, hilft da weiter.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen lehnt daher den Streaming-Antrag der Freien Wähler ab. Das Gleiche gilt für den Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Auch wenn er noch keine Festlegungen trifft, sondern nur die Möglichkeiten von Live-Streaming prüfen lassen will, schafft er doch Präjudizien für die nächste Wahlperiode. Den Abgeordneten des nächsten Kreistags sollte es überlassen bleiben, entsprechende Initiativen einzuleiten. J. Friedrich Battenberg