Rede zur Kreistagssitzung Darmstadt-Dieburg am 04.04.2022
Christian Grunwald, Fraktionsvorsitzender in Doppelspitze Fraktion Bü90/Die GRÜNEN
TOP 15 Kosten des Paktes für den Nachmittag kostenfrei gewähren – DadiLiner wieder vollumfänglich einführen geänderte Projektplanung
Vorlage-Nr. 1176-2022/DaDi / Antrag W. Bischoff (fraktionslos)
TOP 20 Erhöhung der Elternbeiträge zum Pakt für den Nachmittag verschieben
Vorlage-Nr. 1188-2022/DaDi, Antrag FW/UWG
Vorlage-Nr. 1298-2022/DaDi, Änderungsantrag FW/UWG
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, werte Kolleg*innen,
Die GRÜNE Fraktion wird den Änderungsantrag zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Elternbeiträge aus juristisch-formalen Gründen ablehnen.
Wir können aus den Vorträgen und der schriftlichen Begründung nicht erkennen, an welcher Stelle die Rechtmäßigkeit durch den Kreisausschuss (KA) verletzt wurde. Auch die in der Begründung genannte Willkürlichkeit sehen wir nicht und wollen diese auch dem KA nicht zum Vorwurf machen. Schließlich sind wir der Überzeugung, dass der Kreisausschuss rechtssicher handelt. Will sagen, dass am Ende des Tages die Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Elternbeiträge nur durch die Gerichtsbarkeit unabhängig und rechtssicher überprüft werden kann. Und nicht durch den KA selbst.
Leider verstellt dieser letzte Änderungsantrag den Blick auf das Wesentliche der zu führenden Debatte
1. über die Erhöhung der Gebühren und den Zeitpunkt der Umsetzung und nicht zuletzt
2. die sozialpolitische Dimension, in der es darum geht, wie wir Bildungs- und Chancengleichheit im Landkreis Darmstadt Dieburg sichern für eine Eltern- und Schülerschaft die von der Corona- und Ukraine-Krise mit all ihren Folgen getroffen wird.
Weitere komplexe Sachverhalte fallen zudem in der Debatte um die Erhöhung der Gebühren mit anheim, die einer zukünftigen Abarbeitung bedürfen und hier nur benannt seien:
– Übernahme der erhöhten Gebühren durch einige Städte und Gemeinden (Stichwort) Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen im Landkreis
– Rechtsanspruch der Betreuung von Grundschulkindern ab 2026 und Beteiligung des Bundes an den Kosten
– Petition der Eltern: Partizipation/Beteiligung der Schulgemeinden an der Entscheidung über die Ausgestaltung der Beiträge
– Qualität der Betreuung (kein Fachkraftgebot)!
– Verrechnung der Schulträgerleistungen
Alles einzeln zu beleuchtende Bausteine, die die Komplexität des Themas ausweisen.
(Aber bleiben wir beim Wesentlichen:) Als der GRÜNE Schuldezernent Christel Fleischmann das Modellprojekt Pakt für den Nachmittag startete war Ziel: „Entwicklung eines flächendeckenden und bezahlbaren interkommunalen Modells einheitlich für den ganzen Landkreis.“
Der Pakt für den Nachmittag ist zudem nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zum eigentlichen Fernziel: Der rhythmisierten Ganztagsschule!
Dahinter steckte eine sozial- und bildungspolitische Absicht: Alle Kinder sollen gemeinsam länger lernen und die Schule „satt“ (i.S.v. versorgt) und mit erledigten Hausaufgaben verlassen, um so den Nachmittag befreit in Verein und Familie zu verbringen. Also: Ganztagsangebote sind einerseits der Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf – andererseits vor allem ein Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
Bestätigt wird dies übrigens im „Faktencheck Bildung und Chancengleichheit des Landkreises 2019“. Das Bildungsbüro führt aus, dass die „Teilnahme an Ganztagsangeboten, wie eben die Ganztagsbetreuung an Grundschulen, die Chancengleichheit fördert“ (s. S. 22ff).
Ebendieser Faktencheck belegt, dass es aufgrund der Herkunft und der sozialen Lage der Familien Ungleichheiten bei der Teilhabe an höheren Bildungsabschlüssen gibt.
Schon in der Grundschule greifen Mechanismen der Ungleichheit.
Und deswegen, ich zitiere jetzt aus den Handlungsempfehlungen des Runden Tisches Kinderarmut des Landkreises (S.19) „ist es aus familien- und gesellschaftspolitischer Sicht unerlässlich Kindern Wege aus der Armut zu ermöglichen, um ihre Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu erhöhen.“
Wir alle hier, wissen darum. Und Frau Dr. Sauer hat dies im HFA auch bestätigt. Dass Familien aus sozioökonomischen Gründen eben die Entscheidung treffen, ihre Kinder nicht in den Pakt zu geben. Sie berichtete aus Treffen mit den Grundschulleitungen: Die sagten wir verlören 10% der Familien.
Darüber hinaus geht ein sehr großer Teil der Kinder aus sozialleistungsbeziehenden Familien überhaupt nicht in den Pakt.
Insbesondere in Grundschulbezirken mit erhöhtem Migrationsgeschehen und/oder mit Bestand an sozialem Wohnbau kommt dies verstärkt vor.
Die Kinder aus diesen Gebieten sind durch Corona sogar doppelt getroffen und mehrfach benachteiligt.
Aktuell kommt durch die Ukraine-Krise noch eine starke Inflation in Gang, die Geringverdienende und Familien mit kleinem Einkommen hart trifft/treffen wird.
Deswegen ist die Gebührenerhöhung zu verschieben. Wir halten den Antrag von FW/UWG für einen geeigneten Weg, die Entscheidung des KA und der Gesellschafterversammlung zu korrigieren.
Auch und gerade der Auftrag in diesem Antrag, ein Modell zu konzipieren, damit sich alle Familien den Pakt für den Nachmittag leisten können und welches Familien unterstützt, die zwar keine sozialstaatlichen Leistungen erhalten, aber für die die vorgesehenen Erhöhungen besondere Härten bedeuten.
Deswegen haben wir auf einen eigenen Antrag verzichtet und hätten dem Ursprungsantrag von FW/UWG zugestimmt.