Aktuelle Stunde

 KT-Sitzung 26.09.16, TOP 29, Dr. Friedrich Battenberg

 

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Schon wieder müssen wir uns mit einem Antrag der AfD-Fraktion befassen, der nur auf den ersten Blick  einleuchtend erscheint: Das Ziel, die Diskussion innerhalb des Kreistags über aktuelle Themen zu fördern, erscheint zunächst einmal sinnvoll. Sze­narien dazu kann man sich vorstellen: Die Erfahrung zeigt, dass es immer wieder Ereignisse und Notfälle gibt, auf die man schnell reagieren muss, auch auf Land­kreisebene. Doch ist dazu eine „Aktuelle Stunde“, wie sie von der AfD gefordert wird, wirklich das geeignete Format? Hier sind einige Fragezeichen zu setzen. Es gibt eine Reihe von juristischen und pragmatisch-politischen Gründen dagegen, auf die ich kurz eingehen möchte:

Erstens: Die hessische Landkreisordnung schreibt in ihrem § 29 Absatz 1 vor, ich zitiere: Der Kreistag beschließt über die Angelegenheiten des Landkreises, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Ergänzend dazu muss Absatz 2 der gleichen Norm gesehen werden, der in seinem ersten Satz lautet: Der Kreistag überwacht die gesamte Verwaltung des Landkreises und die Geschäftsführung des Kreisausschusses, insbesondere die Verwendung der Kreiseinnahmen. Damit hat die Landkreisordnung dem Kreistag eine abschließende Funktion zugeschrieben. Schon von daher gesehen verbietet es sich, diesem Selbstverwaltungsorgan weitere Aufga­benbereiche zu übertragen, etwa diejenigen, die den Kommunen kraft des Subsidia­ritätsprinzips ausschließlich zustehen. Nach dieser Legaldefinition ist der Kreistag ein demokratisches Kontrollorgan, dessen Aufgabe nicht darin besteht, in einem allge­meinen Diskurs über alle nur denkbare Angelegenheiten zu diskutieren, die irgend­wie die Bürgerinnen und Bürger des Kreises angehen könnten. Seine Tätigkeit ist zielgerichtet. Sie beinhaltet die Beschlussfassung über die nach unserer Geschäfts­ordnung zugelassenen Anträge oder auch die Einholung von Informationen aus der Verwaltung – also Anfragen oder Akteneinsichtsrechte zur Vorbereitung möglicher Anträge.

Zweitens: Die AfD-Fraktion hat im Antrag als möglichen Verhandlungsgegenstand die Begrenzung auf die „Zuständigkeit des Kreistags“ vorgeschlagen, spricht aber zu­gleich von Gegenständen „von allgemeinem und aktuellem Interesse“. In die Zustän­digkeit des Kreistages fallen aber – abgesehen von der Entgegennahme von Berich­ten und der Vornahme von Wahlen – in erster Linie Entscheidungen über Anträge der Fraktionen und die Einreichung von Anfragen, um notwendige Informationen zur Entscheidungsfindung erhalten zu können. In den  §§ 7 bis 9 unserer Geschäftsord­nung ist abschließend geregelt, wie mit den unter dem Begriff der „Vorlagen“ zusam­mengefassten Anträge und Anfragen parlamentarisch verfahren werden soll. Gegen­stände, die als Anträge oder Anfragen formuliert werden können, aus der Kreistags­sitzung auszugliedern und in eine aktuelle Stunde zu verlegen, nur weil ein förmlicher Antrag aus Zeitgründen nicht gestellt werden konnte, wäre zumindest systemwidrig. Und Angelegenheiten allgemeinen Interesses, bei denen Anträge oder Anfragen im Sinne der Landkreisordnung nicht in Frage kommen, gehören einfach nicht in den Kreistag.

Drittens: Auch wenn dies in der Geschäftsordnung unseres Kreistages nicht geregelt ist, sind nach allgemeiner und auch bei uns stets beachteter Rechtsgewohnheit Dringlichkeitsanträge jederzeit möglich, wenn auf aktuelle Entwicklungen sofort rea­giert werden muss und die jeweils nachfolgende Kreistagssitzung nicht abgewartet werden kann. Um hier eine Umgehung der Antragserfordernisse der Geschäftsord­nung auszuschließen, sind diese an qualifizierte Mehrheiten gebunden. Es gibt also durchaus die Möglichkeit, auch nach Ablauf der Antragsfristen auf Ereignisse zu rea­gieren, die eine sofortige Reaktion des Kreistags durch Beschlussfassung erfordern. Aber auch ohne diese strengen Voraussetzungen gibt es immer die Möglichkeit von Änderungsanträgen, die aus aktuellem Anlass noch während einer Sitzung einge­bracht werden können. Von daher gesehen besteht überhaupt kein Bedarf dafür, zu diesem Zweck eine „aktuelle Stunde“ außerhalb der eigentlichen Kreistagssitzung einzurichten.

Nun ist es uns durchaus bewusst, dass in anderen Kreisen und Städten aktuelle Stunden für die jeweiligen parlamentarischen Gremien praktiziert werden. Doch heißt das noch lange nicht, dass wir diesem Beispiel folgen müssten. Ich mache auch dar­auf aufmerksam, dass am Ende aller Ausschusssitzungen in einem standardisierten Tagesordnungspunkt Mitteilungen gebracht und Anfragen gestellt werden können. Hier können in freier Rede und Gegenrede durchaus Gegenstände angesprochen werden, die im Rahmen der Ausschusszuständigkeit von aktuellem und allgemeinem Interesse sind. Hier sind Diskussionen darüber sehr viel offener, formloser und unbe­fangener möglich, Alle Fraktionen – auch diejenigen, die nur eine beratende Stimme im Ausschuss haben – haben hier gleichermaßen die Chance, Aktuelles anzuspre­chen, auf Mängel hinzuweisen und Defizite zu benennen, ohne dass an Anträge oder Anfragen gedacht werden muss.

Was aber will die AfD-Fraktion wirklich mit ihrem Antrag? Nachdem in der letzten Kreistagssitzung der Antrag auf Einführung eines Bürgerbegehrens bei Kreisangele­genheiten abgelehnt wurde, wird nun offensichtlich angestrebt, den Kreistag selbst zu einem Diskussionsforum auszubauen. Wir haben eine offene, demokratische Geschäftsordnung, an die sich bisher alle gehalten haben, mit der auch alle Parteien gut zurechtgekommen sind, die stets auch zeitnahe Reaktionen ermöglichte. Wir brauchen keine Belehrung über demokratische, parlamentarische Regeln. Wir lehnen es ab, dass die AfD-Fraktion uns mit der vorgeschlagenen „Zehntel-Regelung“ uns ihre Themen aufzwingen will. Selbstverständlich steht es der AfD nach demokrati­schen Prinzipien frei, in den Medien für eine Rückkehr zu einer uniformen Gesell­schaft ohne kulturelle Vielfalt zu werben Es besteht jedoch keinerlei Anlass dazu, ein demokratisch gewähltes Selbstverwaltungsorgan des Landkreises als Forum dazu zu benutzen.

Die Koalition von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP wird deshalb dem An­trag der AfD-Fraktion nicht zustimmen.