Kreistag 4.11.19
Friedel Battenberg
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist nicht das erste Mal, dass die Fraktion der AfD in unserem Kreistag einen Antrag einbringt, mit dem die Bürgerschaft des Landkreises in Entscheidungsprozesse des Parlaments und des Kreisausschusses einbezogen werden soll. Sie erinnern sich, dass schon zu Beginn unserer Wahlperiode von ihr beantragt wurde, ein kommunalrechtlich nicht vorgesehenes Bürgerbegehren auf Kreisebene einzurichten. Solche Anträge erscheinen uns nicht von vorneherein unsinnig. Man kann durchaus darüber nachdenken, ob die stärkere Einbeziehung der Einwohner des Kreisgebiets zur Korrektur oder Ergänzung von Kreistagsbeschlüssen sinnvoll erscheint. Es ist nicht auszuschließen, dass man damit eine größere Bürgernähe erreichen kann.
Der von den Antragstellern gebrachte Verweis auf die in der Stadt Tübingen, in der 2017 eine Bürger-App durch Gemeinderatsbeschluss eingeführt und ein Jahr später zertifiziert sowie erstmals zwei Jahre später durch eine Bürgerbefragung umgesetzt wurde, erscheint uns nicht zielführend. Abgesehen davon, dass in einer Stadt wie Tübingen mehr Probleme auftauchen, die die gesamte Bürgerschaft angehen und interessieren, fragt sich, ob schon dort Aufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Die Einrichtungskosten von 172.000 € konnten nur durch ein Digitalisierungs-Landesprogramm und eine Vermarktungsstrategie der beteiligten Firmen erbracht werden. Im Haushalt mussten überdies zur Umsetzung jährlich weitere 14.000 € eingestellt werden. An der 2020 durchgeführten Befragung nahm dann gerade mal ein Achtel der berechtigten Bürger und Bürgerinnen teil. Bezeichnender Weise hat der Landkreis Tübingen die Einführung der App abgelehnt.
Ähnliche Projekte zur Beteiligung der Bürger gibt es im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Hier wurde unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Bergische Universität Wuppertal im Frühjahr 2016 eine Bürgerbeteiligungsplattform eingerichtet. Dazu wurde eine Stelle für Bürgerbeteiligung geschaffen. Doch wird hier vor allem auf Fälle abgestellt, in denen der Landkreis nicht selbst entscheiden kann, in denen aber bei der Umsetzung die Einbeziehung der Bürgerschaft sinnvoll erscheint. Auf die Einführung einer App wurde hier verzichtet, da man damit die Komplexität der Probleme kaum erfassen könnte; vielmehr wurde auf einen dauerhaften Diskussionsprozess gesetzt, in dem Argumente ausgetauscht werden.
Was heißt dies nun für unseren Landkreis? Bürgerbeteiligung ist in einem Flächenlandkreis nur dort sinnvoll, wo man bei der Entscheidungsfindung komplexer Problembereiche auf die Meinung der Betroffenen zurückgreifen will. Dies hatten wir ja bekanntlich erfolgreich bei der Diskussion um das Radverkehrskonzept des Kreises demonstriert. Eine App ist dazu nicht das geeignete Mittel, die hierzu zu investierenden Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen. Es ist besser, von Fall zu Fall im Kreistag zu entscheiden, ob man und wie man die Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen kann. Die die gewählten Abgeordneten treffende Verantwortung für das Gemeinwohl des Landkreises darf aber auch dann nicht aus der Hand gegeben werden.
Hinzu kommt eine technische Schwierigkeit: Wie sollen die durch App erfragten Bürgermeinungen, die vielleicht nur aus einer einzigen, besonders betroffenen Kreiskommune vorliegen, ausgewertet und in eine Beschlussfassung des Kreistags überführt werden? Es besteht leicht die Gefahr, dass die Meinung einiger weniger als angebliche Volksmeinung instrumentalisiert wird, um Kreistagsbeschlüsse zu delegitimieren und gegen die angeblich wahre Meinung der Bürgerinnen und Bürger auszuspielen.
Aus diesem Grunde lehnt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Einführung einer Bürger-App im Landkreis ab.